Französisches Küstenpanzerschiff BOUVINES

Beim Krimkrieg 1855 beschießen 90 Kriegsschiffe, darunter die neuen französischen Panzerbatterien TONNANTE, LAYE und DEVASTATION (nicht zu verwechseln mit DEVASTATION von 1879 und mit der englischen DEVASTATION von 1871), am 17. Oktober das Fort Kinburn, vor Nikolajew gelegen. Bei dem Feuerduell mit dem russischen Fort bleiben die genannten Panzerbatterien, die ersten gepanzerten Kriegsschiffe, unversehrt. Der Krimkrieg brachte für die weitere Entwicklung der Kriegsschiffe weitreichende Erkenntnisse: Eisenschiffbau, Dampfantrieb, Seeminen und Sprenggranaten waren geboren und zeitgleich begann der nie endende Wettlauf zwischen Panzerung und Kaliberstärke.

Frankreich begann nach dem Krimkrieg verstärkt gepanzerte Schiffe zu bauen und war in diesen Jahren Schrittmacher auf dem Gebiet. Konstrukteur der meisten Einheiten war Dupuy de Lome, nach dem in der Folge auch Kampfschiffe benannt wurden. Erst mit Zeitverzug folgten England und die übrigen Seemächte. Vorerst hatten die Neubauten noch bis etwa 1880 Segeltakelagen. Die Wasserlinienpanzer reichten über die gesamte Schiffslänge. Dabei saßen die Panzerplatten von z.B. 200 mm Dicke auf 820 mm Holzhinterlage (Beispiel die drei Schiffe der OCEAN-Klasse von 1868), eine Bauweise, die sich bis etwa 1910 erhalten hat. Bezeichnend für diese Zeit war auch, daß die Panzerstärken stets beträchtlich hinter der Kaliberentwicklung zurückblieben, weil der Bau neuer Geschütze relativ einfach war und schneller voranschritt. Viele Rümpfe erhielten im Laufe ihrer Indiensthaltung oft eine geringere Anzahl, jedoch stärkerer Kanonen aufgesetzt.

Die Entwicklung zum Turmschiff

Bei der französischen Marine wurden die Schlachtschiffe stets streng nach Panzerschiffen I. Ranges und solchen des II. Ranges unterschieden. Jene des II. Ranges waren für den Auslandsdienst vorgesehen und sollten im Kriegsfalle nur die eigentliche Schlachtflotte unterstützen. Die Entwicklung lief über die Jahrzehnte im Übrigen so wie in anderen großen Flotten auch. Aus den reinen (Segel-)Linienschiffen entstanden zuerst die Batterieschiffe, bei denen die Geschütze in der gewohnten Batterie auf einem oder zwei Decks übereinander und dabei in Breitseitaufstellung standen:

-       GLOIRE-Klasse von 1859, GLOIRE erstes Panzerschiff der Welt, 3 Schiffe, Lüa 80,39 m, 5.680 ts, 36 160-mm-Kanonen, 120 mm Panzer auf 660 mm Holzhinterlage (Hhl)

-       COURONNE von 1861 (Foto 1 ), (kleine Fotos anklicken) erstes Hochseepanzerschiff der Welt, Länge KWL 80,00 m, 6.428 ts, acht 240-mm- und vier 190-mm-Kanonen, 100 + 40 mm Panzer mit Holzzwischenlage

-       MAGENTA-Klasse von 1861, 2 Schiffe, LPP 86,56 m, 7.129 ts, zwei Batteriedecks mit 52 160-mm-Kanonen, 120 mm Panzer auf 660 mm Hhl

-       PROVENCE-Klasse von 1863 bis 1865, 10 Schiffe, Lüa 82,90 m, 5.815 ts, Waffen wie COURONNE, 150 mm Panzer auf 660 mm Hhl

Bei den Kasemattschiffen standen die Hauptkaliber bereits in einer geschlossenen und besonders geschützten Kasematte. Sie erlaubte bereits einen wesentlich größeren Richtbereich der Kanonen nach den Seiten und gleichzeitig nach vorn und achtern. Frankreich baute über die Jahre zehn Kasemattschiffe:

-       MARENGO-Klasse von 1868, 3 Schiffe, LPP 86,20 m, 7.749 ts, vier 270-mm-, vier 240-mm- und sechs 120-mm-Kanonen, 200 mm Panzer auf 820 mm Hhl, 160 mm Kasemattpanzer auf 620 mm Hhl

-       RICHELIEU von 1873 (Foto 2 ), LPP 98,14 m, 8.791 ts, sechs 270-mm-, fünf 240-mm-(davon eines als Jagdgeschütz im Bug eingebaut) und zehn 120-mm-Kanonen, 220 mm Panzer auf 880 mm Hhl, Kasemattpanzer wie MARENGO-Klasse

-       FRIEDLAND von 1873, Länge KWL 96,67 m, 8.916 ts, acht 270-mm- und acht 140-mm-Kanonen, 200 + 30 mm Panzer mit Holzzwischenlage, Kasemattpanzer 160 + 30 mm

-       COLBERT-Klasse von 1875, 2 Schiffe, Länge KWL 98,37 m, 8.814 ts, acht 270-mm-, ein 240-mm-(Jagdgeschütz) und sechs 140-mm-Kanonen, Panzer wie RICHELIEU

-       REDOUTABLE von 1876, Länge KWL 97,00 m, 8.854 ts, acht 274-mm-(je eines davon im Bug und Heck) und sechs 140-mm-Kanonen, erstmals Doppelboden, 40 bis 60 mm Panzerdeck und stählernes Spantengerüst, später bei Umrüstung auch 4 Torpedorohre und Entfernung der Vollschiff-Takelage

-       DEVASATATION und COURBET (ex FOUDROYANT) von 1879/81, LPP 95,00 m, 9.639 ts, vier 340-mm-, zwei 270-mm- und sechs 140-mm-Kanonen, 380 mm Panzer auf 320 mm Hhl, Deckpanzer 30 + 50 mm mit 140 mm Hhl

Um die Bestreichungswinkel der großen Geschütze noch bis fast zum Rundumfeuer weiter zu verbessern, baute man diese auf Drehscheiben in stark gepanzerte Ringe ein. Es entstanden die Barbetteschiffe. Ihr erster Vertreter in Frankreich war die:

-       AMIRAL DUPERRE von 1879, Länge KWL 97,50 m, 10.486 ts, vier 340-mm-Geschütze (zwei auf der Back nebeneinander, zwei auf dem Achterschiff in MS, wie 14 Jahre später bei der deutschen BRANDENBURG-Klasse) und 14 140-mm-Kanonen in der Batterie, Gürtelpanzer 550 mm (2,5 m hoch!)

-       BAYARD-Klasse von 1879 bis 1883, verkleinerte Version der AMIRAL DUPERRE, 4 Schiffe, Länge KWL 81,00 m, 5.869 ts, vier 240-mm-, ein 190-mm-(im Bug) und sechs 140-mm-Kanonen, 250 mm Gürtelpanzer, 50 mm Panzerdeck

-       TERRIBLE-Klasse von 1891 bis 1885 (Foto 3 ), 4 Küstenverteidiger, Länge KWL 84,80 bzw. 85,30 m, 7.239 bzw. 7.184 ts, zwei 420-mm-, vier 100-mm-Kanonen und zwei Mitrailleusen (leichte Schnellfeuer-Kanonen), Gürtelpanzer 500 mm, Turm 400 mm, Deck 80 mm Panzer

-       AMIRAL BAUDIN 1883 und FORMIDABLE 1885, Länge KWL 98,00 m, 11.441 ts, drei 370-mm- und zwölf 138-mm-Kanonen (davon 1 Bug- und 1 Heckgeschütz) und acht Mitrailleusen, Gürtelpanzer 550 mm, Turmpanzer 420 mm, Deck 90 mm

-       HOCHE-Klasse von 1887 bis 1890, 4 Schiffe, Länge KWL 100,60 m, 10.581 ts, zwei 340-mm-, 16 138-mm- und weitere 65-, 47- und 37-mm-Kanonen und drei Torpedorohre, Gürtelpanzer 450 mm, Panzerdeck 80mm

Bei den Turmschiffen standen die Hauptkaliber nun in auch oben geschlossenen Türmen. Als erste Vertreter liefen 1892 VALMY (Foto 4 ) und JEMMAPES als Küstenpanzerschiffe vom Stapel. Ihre Maße waren 86,50 x 17,50 x 7,10 m; die Verdrängung 6.580 ts. Segeltakelagen hatten diese Schiffe längst nicht mehr. Hauptkaliber waren zwei 340-mm-L/42-Kanonen in Mittschiffs-Turmaufstellung. Etwas erhöht in den Aufbauten standen vier 100-mm-L/45-Kanonen, ebenfalls mit einem sehr großen Richtbereich über den Horizont. Als leichte Artillerie waren daneben noch vier 47-mm- und acht 37-mm-Kanonen vorhanden. Ein schmaler Gürtelpanzer von mittschiffs 450 mm verjüngte sich zu den Schiffsenden hin auf 250 mm Stärke. Das 100 mm dicke (Schildkröten-)Panzerdeck reichte über den Gürtelpanzer bis zu dessen Unterkante. Die Turmseitenwände waren 375 mm und die Turmunterbauten 315 mm dick gepanzert. Zwei Dreifach-Expansions-Dampfmaschinen von zusammen 8.500 PSi verliehen den Schiffen über zwei Propeller eine Geschwindigkeit von 16 Knoten (nach anderen Quellen 9.000 PSi und 16,7 kn).

Die BOUVINES-Gruppe

Zeitgleich mit eben genannten Küstenpanzern waren die etwa gleichgroßen Küstenpanzerschiffe BOUVINES (Fotos 5 und 6 ) in La Seyne und AMIRAL TREHOUART (Foto 7 ) (colorierte Postkarte) in Lorient im Bau. Sie liefen 1892/93 vom Stapel, fertig waren sie erst 1894/96. Sie ähnelten VALMY und JEMMAPES, hatten aber nur zwei 305-mm-L/45-Geschütze Modell 1887 (12 inch= 304,8 mm) als Hauptkaliber in Einzel-Lafetten in geschlossenen Türmen mit elliptischem Grundriß. Die Rohrlänge betrug 13,72 m, die Projektile wogen 349 kg, pro Kanone waren 45 Schuß an Bord. Die maximale Rohrerhöhung für die damals relativ geringen Gefechtsentfernungen betrug nur 10° (beim achteren Geschütz in meiner Skizze  so gezeichnet); die Depression gar nur 4°. Die Bestreichungswinkel für diese Waffen betrug 264°; die Schußweite 12 km.

In zwei Decks nahezu übereinander standen nun acht 102-mm-L/50-Kanonen (4 inch = 101,6 mm) mit Schutzschilden und Bestreichungswinkeln von je 135°. Hoch oben im Gefechtsmars waren vier 47-mm-Dreipfünder-Kanonen von Hotchkiss aufgestellt (Abb. 1 ). Deren Bestreichungswinkel betrugen je 130°. Interessant ist die starke Depression dieser Waffen von 32°, ein Umstand, der die Torpedobootsabwehr erlaubt und beim Nahgefecht „von oben“ auf das benachbarte Schiff zu feuern. Außerdem gab es zehn 37-mm-Mitrailleusen (Revolverkanonen), ebenfalls von Hotchkiss, auf den Decks verteilt (2 x 135°, der Rest 90°).

Zusätzlich hatte BOUVINES zwei (Überwasser-)Torpedorohre für das Lancieren (Ausstoßen) von (18-inch-)457-mm-Fischtorpedos (Richtbereich je 90°). In meiner Skizze sieht man die nach oben aufgeklappte Bordwandöffnung etwa in Höhe von Spant 11. In gleicher Höhenlage bei den Spanten 8 und 14 sieht man weitere große Tore. Dort konnten Scheinwerfer nach außenbords geschoben werden. Der Gürtelpanzer hat eine Höhe von 1,86 m auf 316 mm Holzhinterlage; er ist an der Oberkante 457 mm und an der Unterkante 280 mm dick, das Panzerdeck 100 mm (vgl. Abb. 2 ). In dieser Abbildung werden auch die extrem großen Balkenbuchten der unteren Decks sichtbar. Im Raum hinter dem Holz-Wall sind die Kohlbunker als weiterer Schutz angeordnet. Wie fast alle oben erwähnten Panzerschiffe hatten auch diese beiden eine Rumpfform, die über Wasser eher einem Bügeleisen gleicht und einen weit vorspringenden Rammsteven, eine damals typisch französische Bauform. Dagegen war der Schiffsboden fast eben (vgl. Spantenriß). Seitlich sitzen zwei Dockkiele. Das Deck des Achterschiffs war stark gewölbt (vgl. dazu die Kurven der Spanten 1 bis etwa 4) und unter Wasser waren für die beiden über vier Meter großen Schiffsschrauben Propellertunnel angeformt (vgl. Spanten 1 bis 3). Das Halb-Balanceruder konnte nach jeder Seite 35° gelegt werden. Der Kiel hatte einen leichten Kielfall. Im Raum zwischen den Spanten 6 und 10 lagen die beiden 3-fach-Expansions-Dampfmaschinen hintereinander; die Steuerbord-Maschine vorn. Davor bis etwa zum Spant 14 reichten die Kesselräume (16 Kessel). TREHOUART soll mit 8.500 PSi 16,5 bis 17 kn Fahrt erreicht haben.

Das Kampfschiff war, wie seinerzeit üblich, mit Beibooten übersät. In der Seitenansicht habe ich für eine bessere Übersichtlichkeit nicht alle gezeichnet. Die vorderen vier hingen an langen Barkunen, deren Stander zu Umlenkrollen unter der Mars fuhren. Die Boote neben den Kaminen wurden von riesigen Drehdavits bedient, deren Füße auf den schrägen Bordwänden standen. Die zugehörige Bootswinde steht direkt hinter dem achteren Kamin. Über diverse Wegweiser-Blöcke fuhren die Läufer der Bootstaljen zu den Drehdavits. Die Treppen zu den oberen 102-mm-Kanonendecks sind wie bei einer Theaterkulisse geschwungen gebaut. Von den Decks führen zahlreiche offene Niedergänge in das Rumpfinnere. Sicherlich waren diese beim Seebetrieb abgedeckt. Die gesamte Ankereinrichtung für die Stockanker (je 4,3 Tonnen) findet sich unter dem Backdeck. Oben sieht man davon nur den großen Spillkopf und die beiden drehbaren Fischkräne (Höhe Spant 18,5). Vom Spant 15 bis nahe an den Anker ist an jeder Bordseite eine lange Backspiere gelascht. Die zahlreichen quadratischen Öffnungen in der Bordwand sind nur große Fenster, die sich für eine bessere Lüftung nach oben aufklappen lassen, es sind keine Stückpforten. Der eigentliche Fahrstand befindet sich unter der ersten Plattform am Gefechtsmast. Von dem Steuerrad an diesem Ort geht ein Kettenzug an Steuerbord durch das ganze Schiff bis zum Ruderquadranten im Achterschiff. Der (leichte) Kettenzug steuert dort eine Dynamomaschine (E-Motor) an, welche die Rudermaschine bewegt.

Auf Grund der guten Wertpläne, welche ich von fast allen (!) französischen Kampfschiffen von der Segelschiffsära bis zur Neuzeit habe, konnte ich eine authentische Skizze von BOUVINES im M 1:200, also wenig größer als hier abgebildet, anfertigen.

Jürgen Eichardt

Weiterführende Literatur:

-       J. F. von Kronenfels, „Das schwimmende Flottenmaterial der Seemächte“, Christian Schmidt´s Verlag München, Reprint der Ausgabe von 1881

-       J. F. von Kronenfels, „Die Kriegsschiffbauten 1818 - 1882“, Christian Schmidt´s Verlag München, Reprint der Ausgabe von 1883

-       Brennecke/Hader, „Panzerschiffe und Linienschiffe 1860 - 1890“, Koehlers Verlagsgesellschaft Herford, 1976, ISBN 3 7822 0116 7

-       George Paloczi-Horvath, „From Monitor to Missile Boat“, Conway Maritime Press London, 1996, ISBN 0-85177-650-7

Bildtexte: (alle Fotos: Sammlung Eichardt)

Foto 01: COURONNE hatte drei rahgetakelte Masten (Vollschiff) und als Dampfantrieb eine 2.900-PSi-Maschine, die ihr 12,6 kn Fahrt gab.

Foto 02: RICHELIEU, in Toulon gebaut, hatte einen weit nach vorn gezogenen Rammsteven; keine geteilten Mars- und Bramsegel. Zwei Propeller verliehen dem Schiff bei 4.000 PSi nur 13,1 kn. Die zweigeteilte Maschinenanlage gab mehr Sicherheit.

Foto 03: Ein Schiff der TERRIBLE-Klasse, von Beginn an keine Segeltakelage, dafür zwei Dreibein-Masten mit Gefechtsmarsen. Die langen Gaffeln mit Gaffelgeeren deute ich als Möglichkeit für eine Notbesegelung. Die Kamine stehen nebeneinander. Der hintere Teil des Schiffes ist mit Sonnensegeln bedeckt.

Foto 04: Bei VALMY ist auch die Back schildkrötenartig gewölbt. Aus den Luken vom Mars ragen deutlich sichtbar die Kanonenrohre.

Foto 05: Der dunkle Streifen über der KWL bei BOUVINES zeigt die Höhe des Gürtelpanzers an. Die kleine Hütte vor dem hinteren Mast ist eine Admiralskammer. Die Beiboot-Barkunen neben dem Gefechtsmast sind nach vorn umgelegt; die großen Bootsdavits nach innen geschwenkt.

Foto 06: BOUVINES hat hier vor dem Gefechtsmast bereits einen umbauten (Holz-)Fahrstand.

Foto 07: Kolorierte Postkarte von AMIRAL TREHOUART. Das Schiff hat offenbar nur einen Kamin; Sonnensegel auf der Back.

Abb. 01: Querschnitt durch den Mars mit 47-mm-Kanone.

Abb. 02: Dieser Hauptspantschnitt ist nur ein kleiner Auszug von 29 sauber gezeichneten Werftplänen, die ich von BOUVINES habe. Man erkennt den Doppelboden, das stark gewölbte (640 mm) Panzerdeck, die liegende Dampfmaschine und die Holzhinterlage hinter dem Gürtelpanzer, welcher nach unten dünner wird.

Abb. 03: Steuerbord-Torpedoeinrichtung neben den Kamin-Unterbauten.


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